Vortrag von Lynne Heller
Moderation: Primavera Driessen Gruber
Eintritt frei
Ort: Institut für Wissenschaft und Kunst, Berggasse 17, 1090 Wien
Jakob Kremer (1852–1931) war der Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Ungarn. Mit 20 Jahren trat er in die k. u. k. Armee ein, in der er die folgenden 42 Jahre lang dienen sollte. 1888 fand die Hochzeit mit der aus Mähren stammenden Gisela Rabinek (1868–1942) statt. Das gemeinsame Leben begann in Lemberg, wo Jakob stationiert war. Hier kamen die drei Töchter des Paares – Klara (1889–1983), Berta (1891–1983) und Erna (1896–1942) – zur Welt. Aufgrund der Versetzungen Jakob Kremers musste die Familie zwei Mal ihren Lebensmittelpunkt verlegen: 1897 ging sie nach Sarajewo, wo der einzige Sohn – Felix (1899–1942) – geboren wurde, und 1905 schließlich nach Wien. Vor dem Hintergrund der Assimilation jüdischen (Klein-)Bürgertums mischt sich innerhalb der Familie Traditionelles, wie die Geschlechterrollen der Eltern, mit Unkonventionellem. Es wurden liberale Werte gelebt und durch die mehrfachen Übersiedlungen in unterschiedliche Länder der Monarchie sowie über die Generationen hinweg kulturelle Räume gewechselt. Das bürgerliche Ideal einer soliden Bildung spielte in der Familie eine zentrale Rolle. Trotz des geringen Einkommens Jakob Kremers wurde allen vier Kindern eine für die damalige Zeit außergewöhnliche Freiheit in der Gestaltung ihrer Lebenspläne ermöglicht. Es stand ihnen frei, ihre Studien und Berufsziele selbst zu bestimmen. Innerhalb der Familie spielte die Ausübung des jüdischen Glaubens keine Rolle. Obwohl Jakob Kremers Religionszugehörigkeit ihn in seiner Militärkarriere hinderte, konvertierte er nie. Durch den Besuch einer katholischen Schule in Sarajevo kamen die Töchter näher mit dem Christentum in Berührung, als einziger wurde nur Sohn Felix bereits als Kind getauft. Während Klara, die Älteste, ihre jüdische Religionszugehörigkeit nie ablegte, entschieden sich Berta und Erna im Erwachsenenalter zur Konversion. Im März 1938 – alle vier Kinder der Kremers standen fest im Berufsleben – nahm die Tragödie ihren Anfang: Berta und Erna – als städtische bzw. staatliche Angestellte – verloren umgehend ihre Stellungen, Klara und Felix binnen weniger Monate, darüber hinaus begann die verzweifelte Suche nach Ausreisemöglichkeiten. Trotz fast ununterbrochener Anstrengungen gelang es lediglich Klara und einer der Zwillingstöchter Bertas, nach Großbritannien zu emigrieren. Berta überlebte mit der anderen Tochter in Wien, Gisela, Erna und Felix wurden 1942 nach Maly Trostinec deportiert und dort ermordet.
Lynne Heller, Studium der Geschichte an der Universität Wien. Doktorat 1992 mit einer Dissertation über „Die Reichshochschule für Musik in Wien 1938–1945“. Seit 1993 Leiterin des Archivs der mdw für Musik und darstellende Kunst Wien. Seither Mitarbeit an Publikationen, Ausstellungen und Projekten des Archivs, vor allem zur Geschichte der mdw in der NS-Zeit.
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