Nachruf
Wir trauern um unsere Kollegin
Traude Bollauf (1941-2020)

Am 15. Oktober 2020 verstarb in Wien Mag.a Dr.in Traude Bollauf, geb. Moik, Journalistin, Zeithistorikerin und Mitglied der FrauenAG der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung (öge). Sie war eine engagierte, kompetente, verlässliche Kollegin, die stets wertvolle und inspirierende Beiträge in die Arbeit unserer Gruppe eingebracht hat.

Beruflich war Traude Bollauf von 1959 bis 1966 beim Bundesministerium für soziale Verwaltung tätig, anschließend war sie Redakteurin der Wochenzeitschrift Die Frau und ab 1975 Sendungsverantwortliche im ORF. Nach dem Übertritt in die Pension 1996 engagierte sie sich für ihre eigene Weiterbildung und begann ein Studium der Geschichte, Judaistik und Germanistik an der Universität Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt lag auf der Zeitgeschichte, wobei sich die Themenfelder Frauen in der Arbeiterbewegung und insbesondere die Emigration und das Exil von Frauen herauskristallisierten. Dieser Fokus wie auch Traudes persönliche Verbindung zur Sozialdemokratie war zweifellos durch ihren familiären Hintergrund geprägt: Ihre Tante war die Gewerkschaftlerin, Widerstandskämpferin und spätere Nationalratsabgeordnete Wilhelmine Moik. Ihr Diplomstudium der Zeitgeschichte schloss Traude Bollauf 2003 mit Auszeichnung ab, mit der Diplomarbeit Kinderemigration – Anpassung an eine fremde Welt. Am Beispiel zweier Wiener Geschwisterpaare. In ihrer von Gerhard Botz betreuten Dissertation (2009) beschäftigte sie sich als erste Wissenschaftlerin mit der Fluchtoption verfolgter Frauen, dem Nazi-Regime mit einem Visum als Hausangestellte nach England zu entkommen. Diese Pionierarbeit historischer Sozialforschung und Exilforschung erschien 2010 in überarbeiteter Form unter dem Titel Dienstmädchen-Emigration. Die Flucht jüdischer Frauen aus Deutschland und Österreich nach England 1938/39. Für diese Publikation erhielt sie den Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch.

Neben der Exilthematik erforschte und dokumentierte Traude Bollauf die Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung. Für die Monografie zu Wilhelmine Moik von Agnes Broessler (2006) gestaltete sie den sachkundigen Anhang. Ganz im Sinne ihres methodischen Zugangs zu einer „Geschichte von unten“ führte sie 2003 bis 2007 im Auftrag des Instituts zur Erforschung der Geschichte des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und der Arbeiterkammern zahlreiche Oral-History-Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen aus der Gewerkschaftsbewegung. 2015 verfasste sie für die Arbeiterkammer Wien die Broschüre frauen an der arbeit. 90 Jahre Frauenabteilung der Arbeiterkammer Wien, die die Geschichte dieser 1925–1934 von Käthe Leichter geleiteten Einrichtung anhand umfassenden Quellenmaterials bis in die Gegenwart nachzeichnet.

Traude Bollauf war gut vernetzt, sowohl im Umfeld der Protagonistinnen ihrer Forschung als auch in der wissenschaftlichen Welt, insbesondere in der Exilforschung. So referierte sie etwa bei der von biografiA – biografische datenbank und lexikon österreichischer frauenöge und der FrauenAG der öge veranstalteten Tagung Frauen im Exil. Die weibliche Perspektive. Exil – Pädagogik – Psychoanalyse. Im Gespräch mit Hannah Fischer (2005) zur Kinderemigration nach Großbritannien. In die FrauenAG der öge, der sie ab 2008 angehörte, brachte sie ihre vielfältigen Erfahrungen und Kontakte ein. Sie initiierte und moderierte gekonnt mehrere unserer Veranstaltungen, wie das Symposion zur Pädagogin und Politikerin Stella Klein-Löw Erlebtes und Erdachtes (2014), dessen Tagungsband sie mit herausgab (2016), oder ein Gespräch mit Susanne Scholl anlässlich der Präsentation des Romans Wachtraum (2018). Ihrem Thema Dienstmädchen-Emigration blieb sie weiterhin verbunden und publizierte dazu Artikel wie beispielsweise Flucht und Zuflucht in LHomme, Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 15, oder in A Cherry Dress, den Memoiren der ins Exil geflüchteten Tänzerin Anita Bild (Hg. Peter Bild/Irene Messinger, 2018). Traude engagierte sich persönlich intensiv für das Zustandekommen der Tagung Doing Gender in Exile im Jahr 2017, die Jahrestagung der öge, die von der FrauenAG organisiert wurde. Über das historische Exil hinaus erstreckte sich ihr Interesse stets auch auf die gegenwärtigen Fluchtbewegungen.

In ihrem Heimatbezirk Ottakring war Traude Bollauf bei den SPÖ-Frauen engagiert, für die sie zahlreiche Kulturveranstaltungen organisierte. Sie war Mitglied beim Bund sozialdemokratischer AkademikerInnen und wurde 2019 mit der Viktor-Adler-Plakette ausgezeichnet.

Für ihr leidenschaftliches Engagement und ihr fröhliches und erfolgreiches Netzwerken für die wissenschaftliche und aktivistische Auseinandersetzung mit dem weiterhin aktuellen Thema Frauen auf der Flucht bleiben wir ihr als FrauenAG in Dankbarkeit verbunden. Wir werden sie sehr vermissen.

FrauenAG der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung

I am a great admirer of Dienstmädchen-Emigration, which I thought was one of the most important books on emigration from Austria to Britain after 1933 to have been published in recent years. It was based on some truly excellent research.
(Anthony Grenville)


 

Foto 1: Traude Bollauf bei der internationalen Tagung Doing Gender in Exile, 18. – 20. Oktober 2017

Foto 2: Traude Bollauf (li.) als Referentin bei der Veranstaltung des Instituts für Österreichkunde und der FrauenAG der öge zum Thema Dienstboten-Emigration, 22. April 2010 (Moderation: Siglinde Bolbecher)